Vogalonga und Giro vacando
Jugendfahrt und für Junggebliebene!
Auf dem Jugendtag auf der „Großen Birke“ im Staffelsee wurde am 03.Juli 2011 wie immer mit den anwesenden Kindern und Jugendlichen besprochen, welches Ziel die Jugendfahrt im nächsten Jahr nehmen sollte. Der schwarze Regen war im Gespräch, auch nochmals die Elbe zu fahren, oder gleich nach Schweden und noch vieles mehr. Es entstanden damals heiße Diskussionen, da der Leistungsstand der Kinder und Jugendlichen von Anfängern bis zu „Jungen Wilden“ so ziemlich alle Schattierungen anbot. Jeder wollte natürlich gerne sein Lieblingsziel verwirklicht sehen und so wurde die endgültige Entscheidung erst einmal vertagt.
Im Laufe der folgenden Monate kamen immer wieder Erzählungen über die „Vogalonga“, ein seit vielen Jahren durchgeführtes Bootsrennen in Venedig, an unsere Ohren. Umgehend wurden genauere Erkundigungen eingeholt, manch ein Einzelpaddler hatte schon daran teilgenommen und erzählte begeistert von diesem Event. Das Internet bot eine Fülle von Informationen, aber schnell kristallisierte sich auch heraus, dass die ganze Planung und Durchführung an unsere Grenzen stoßen würde. Da bekam Christof aber von einer Bekannten den entscheidenden Tipp, dass Isa Winter-Brand schon oftmals eine Fahrt nach Venedig zur Vogalonga organisiert hatte. Es wurde Kontakt zu Isa aufgenommen, diese erklärte sich bereit, die Jugendabteilung der BE in ihre Gruppe aufzu-nehmen. All die mühsame Planung von Anfahrt, Umsetzen, Übernachtung, Anmeldung und all diese „Kleinigkeiten“ war plötzlich in erfahrenen Händen. Zahlreiche Interessenten waren auch gleich zur Hand. Wie das aber immer so läuft, zerschlugen sich für viele ihre Reisepläne aus vielfältigen Gründen, so dass am Schluss nur noch eine „echte“ Jugendliche, Verena, und 10 Junggebliebene sich endgültig anmeldeten.
Am 26. Mai war Treffpunkt am Campingplatz in Fusina mit den Organisatoren des „Giro Vacando“. Am Nachmittag werden die Boote aufgebaut, beladen und zu Wasser gebracht. Die ersten Paddelschläge in der Lagune von Venedig bis zur Insel Campalto, auf der wir 2 Übernachtungen verbringen sollen, waren getan. Nach ca. 7 km kamen wir auf der kleinen Insel an. Es folgten der übliche Zeltaufbau, Unterbringung der Boote und nachdem alles so allmählich verstaut war, begann das angekündigte Grillfest. Mit reichlich Rippchen, gegrilltem Bauchspeck, Hähnchenteilen und vielem mehr. Angesichts der Tatsache, dass wir alle bereits die Anfahrt auf die Insel hinter uns hatten und am nächsten Morgen um 7.30 Uhr die Abfahrt zum Markus-Platz folgen sollte, zogen sich die meisten bereits relativ zeitig in die Zelte zurück.
Am Morgen nahm dann erst einmal das üblich Chaos seinen Lauf, mit Einbooten und Abfahrt Richtung Venedig. Wir waren gerade noch zum richtigen Zeitpunkt auf dem Startplatz, um den Kanonenknall und die anschließende Startrallye live miterleben zu können. Es war schon ein gigantischer Anblick, 6.000 Teilnehmer in ihren Booten auf dem Canale Grande vor dem Markus-Platz! Manch einer der Teilnehmer nahm natürlich die Sache sehr ernst und wollte unbedingt auf Zeit fahren. Aber viele sahen einfach den Spaß an der Teilnahme, Dabei sein ist alles. Etliche Stunden später und mit vielfältigen Eindrücken versehen, erreichten wir wieder den Markus-Platz, genau in dem Moment, als die Ziel-Plattform geschlossen und abgebaut wurde. Zu unserer großen Enttäuschung waren nicht für alle Teilnehmer Medaillen vorhanden, es hatten sich ca. 1.000 Bootfahrer mehr angemeldet als kalkuliert. Nach Debatten mit Händen und Füßen konnte Christof aber erreichen, dass uns unsere Medaillen nachgeschickt werden. Müde, verschwitzt und ausgehungert stellten wir uns nochmals der Herausforderung des Canale Grunde, um zurück nach Campalto zu kommen. Der Stadtplan Venedigs wurde konsultiert und eine „Abkürzung“ zurück war auch gleich gefunden. Zufälligerweise fand auf dieser Abkürzung auch gerade der Betriebsausflug aller Gondoliere statt, mitsamt ihrer japanischen Gäste. So oft wurden wir in unserem ganzen Leben noch nicht fotografiert. Irgendwann schafften wir es dann doch noch zurück nach Campalto, wo bereits ein warmes Abendessen und die Reste des Grillfestes auf uns warteten.
Am Morgen danach fanden die üblichen Aufbruchsvorbereitungen statt, alles musste in die Boote geschafft werden. Die segensreiche Erfindung der BE-Jugendabteilung „Kette“ ist nicht allgemein bekannt, jeder kämpft für sich alleine. Es folgt die längste Strecke, die wir in dieser Woche zu paddeln haben, von Campalto nach Isola degli Armeni-Lido. 22 km bei strahlendem Sonnenschein, das Wasser glitzert, es ist einfach schön. Irgendwann bemerken wir, dass wir anscheinend den Anschluss an die Gruppe verloren haben, wir sind mit unserem „Lumpensammler“ Maurizio alleine auf der Lagune, die Gruppe ist weg. Maurizio kümmert sich aber hervorragend um uns und sorgt dafür, dass auch wir am Zielort, einem Pflegeheim, ankommen. Bzw. auf der Wiese im Garten dieses Heims. Es gibt Duschen, heißes Wasser und Abendessen. Spaghetti vongole und Weißwein. Wir lernen jetzt die berühmte Gastfreundschaft der Italiener kennen. Freundlich, hilfsbereit und unkompliziert.
Morgens um 6.30 Uhr Frühstück, Aufbruch wenig später Richtung Pellestrina. Hier werden wir an der Remiera Pellestrina zum Mittagessen erwartet. Die Strecke ist relativ kurz, wir können in Pellestrina noch ein paar Einkäufe tätigen. Mittags werden wir wiederum von einer Gastfreundschaft beeindruckt, die wir Deutschen so wahrhaftig nicht kennen. Ein Olympiasieger aus den 60er Jahren kocht mit seinen Freunden für uns. Spaghetti vongole! Wir langen kräftig zu, sind ja auch ausgehungert. Auch den angebotenen Nachschlag lehnen wir nicht ab. Außer denen, die keine Muscheln mögen. Es gibt wieder reichlich herrlichen kalten Weißwein, auch Rotwein. Wir sind eigentlich satt, als die Secondi piatti aufgetragen werden, damit hatten wir nicht gerechnet. Muscheln, Cozze ala marinara! Einfach lecker, sofern man Muscheln mag! Damit nichts stehen bleibt, nehmen sich einige auch der übrig gebliebenen Portionen Cozze an.
Hier in der Remiera können Kinder an einem Gondel-Simulator das Gondelsteuern erlernen. Auch uns wird dies angeboten, wer noch Kräfte übrig hat, steigt auf die Plattform und versucht unter kundiger Anweisung, das Ruder zu handhaben. Wer sich dafür nicht mehr in der Lage fühlt, hat Glück, es gibt Espresso und Grappa. Einige machen auch einen kleinen Spaziergang an die Adria. Vom Ufer der Lagune zum Ufer der Adria sind es keine 150 m, so schmal ist hier der Lido. Am Nachmittag steigen wir doch wieder in die Boote. Wir müssen weiter nach Ca Roman. Hier übernachten wir im Garten eines Klosters.
Es folgt wieder ein zeitiger Aufbruch am nächsten Morgen. Wir wollen nach Chioggia, müssen die große Hafeneinfahrt queren. Dies dürfen wir nur mit Genehmigung der Hafenbehörden, die sehr streng vorgehen. Nur mit Schwimmweste darf hier eingefahren werden. Das Wetter ist uns hold, es ist sonnig und heiß. Die Gruppe wartet auch auf uns Nachzügler. Isa steuert wie eine Entenmutter ihre zahlreiche Kinderschar durch die Lagune. Auch unser Begleitschiff mit Tito an Bord ist in der Nähe und achtet auf versprengte Paddler.
In Chioggia angekommen, haben wir etwa 3 Stunden Zeit, uns die Stadt anzusehen. Wir gehen in die Altstadt, die wirklich sehenswert ist, mittelalterlich, pittoresk und so richtig mediterran. Wir können erst nach 16.00 Uhr weiter, da wir in die Salzwiesen geführt werden sollen, und diese können nur mit der ankommenden Flut befahren werden. Wir sind pünktlich und haben den Genuss, dass uns jede Welle der hereinkommenden Flut ein Stück schneller Richtung Salzwiesen trägt. Überall sehen wir die Stangen und Netze der Fischer und Muschelzüchter in der Lagune stehen. Pittoreske Bauten stehen auf Holzpfählen, es stellt sich heraus, dass diese den Fischern gehören. Unglaublich, aus was diese Bauten bestehen: Eimer, alte Gartenstühle, Wellblechplatten, Holzteile, Netze und undefinierbare Einzelteile ergeben eine Hütte.
Wir fahren jetzt in das Naturschutzgebiet der Salzwiesen ein und werden von einem einheimischen Guide betreut. Wir sollen auf der Wiese einer Polizeistation übernachten. Die Autos können hierher nachgeholt werden, für den nächsten Tag ist der Umzug in das Po-Delta geplant. Es herrscht Verwirrung über den richtigen Zufahrtsweg nach Millecampi. Wir landen im falschen Kanal, der schlicht weg einfach immer enger wird, müssen rückwärts paddeln. Es herrscht ziemliches Chaos, jeder möchte hier raus, wenden, nicht wenden, doch, schon wenden... Wir schaffen es. Auch hier in Millecampi werden wir von einer Woge der Gastfreundschaft empfangen. Es wird für uns gekocht und gegrillt, wir haben selten so gut gegessen. Allerdings haben auch die Mücken noch eine Rechnung für uns offen, auch diese haben eine reichhaltige Abendmahlzeit. Hier verlassen uns Maurizio und seine Freundin Tiziana, sie müssen am nächsten Tag wieder arbeiten. Wir bedanken uns sehr für die Betreuung der letzten Tage und hoffen, mal per Email von ihnen zu hören.
Zeitig am Morgen werden dann die Autos beladen, keiner glaubt uns, dass wir alle unsere Siebensachen in einem alten VW-Bus unterbringen werden. Tun wir aber doch, und auch noch absolut in der Zeit. Wir fahren ca. 50 km nach Boccasette, auf den Campingplatz „La Ca Del Delta“. Hier bleiben wir bis zum Ende der Fahrt am 03. Juni. Abends lassen wir uns fürs Abendessen bei den Wirtsleuten im „La Ca Del Delta“ vormerken. Eine sehr richtige Entscheidung. Wir sind vom Umzug, der Fahrt in den heißen Autos und auch den Anstrengungen der vorhergehenden Tage recht erschöpft und genießen es, wieder kulinarisch verwöhnt zu werden.
Stefano ist jetzt die Begleitung für die nächsten Tage durch das Po-Delta. Er ist hier zu Hause und tritt leidenschaftlich für den Erhalt seiner Heimat ein. Er erzählt interessant und immer wieder mit unzähligen Details aus dem Leben von Fauna und Flora im Delta. Er weiß zu allem eine Geschichte, Isa und Anna kommen mit dem Übersetzen fast nicht hinterher. Er begleitet uns am Donnerstag auf eine 2-stündige Radlfahrt über Boccasette bis ans Meer. Er zeigt uns unter anderem eine Schleuse, die nach einem Prinzip von Michelangelo Buonarotti erbaut wurde. Diese Schleuse schließt sich bei Flut und öffnet sich bei Ebbe, um ein Überfluten der Felder zu verhindern.
Am Freitag paddeln wir mit Stefano einen Seitenarm des Po, in Richtung Mündung. Wir erkunden verschiedene Altarme, sehen eine reiche Vogelwelt und sogar den einzigen Teich hier, in dem Seerosen wachsen. Ein Ausstieg aus dem Boot in dem urwaldähnlichen Gebiet stellt sich als grober Fehler heraus, die Mücken blasen zum Angriff, es gibt keine Gegenwehr, außer man bleibt im Boot auf dem Wasser und sitzt die Brotzeit einfach aus.
Für diesen Abend ist das Abschiedsessen geplant, Walther gibt die Parole aus, tagsüber wenig zu essen und abends am Brot zu sparen. Wie recht er hat, stellen wir dann fest. Eine Aufzählung der verschiedensten Speise und Gänge ist nicht möglich, immer wieder kommt noch ein Gericht, immer wieder etwas noch Besseres. Wir sitzen lange bei Wein und noch einem Espresso. Renate entdeckt ihre Leidenschaft für Rosinen im Grappa und versucht immer wieder ein Glas mit 4 Rosinen als Rekord zu ergattern.
Am nächsten Tag soll die letzte allgemeine Fahrt stattfinden, viele werden dann die Heimreise antreten. Es soll direkt im Po-Delta, bei Pila, losgehen über ehemalige Reisfelder zu einer Siedlung, die vor über 20 Jahren überflutet wurde und aufgegeben werden musste. Stefano kann auch hier lebendig und realistisch erzählen, er kennt diese Siedlung noch zu anderen Zeiten. Jetzt stehen hier alle Häuser bis über das Erdgeschoss im Wasser. Wir paddeln dann noch bis zum Leuchtturm von Pila, umrunden diesen und landen nach einigen Kilometern in einer weiteren Sehenswürdigkeit, einer Schilfhütte an. Hier verlassen wir die Boote, gehen einige Schritte durch den Schilfgürtel und stehen an einem wunderbaren, einsamen kleinen Sandstrand. Wir können baden, ausruhen und den letzten Tag hier geniessen. Zu bald müssen wir zurück, es ist ja der letzte Abend, wir treffen uns mit einigen Mitgliedern der Gruppe zu einem Abendessen mit Stefano in Boccasette. Es wird ein lauter, lustiger aber auch ein wenig wehmütiger Abend, die Zeit hier ist so schnell vergangen.
Die Heimreise, für manche recht weit, bis nach Berlin, steht bevor, es folgt eine lebhafte Verabschiedung vor dem Lokal, manche fahren bereits in den frühen Morgenstunden ab. Auch wir haben die Abfahrt früh eingeplant, wollen den Rückreiseverkehr am Brenner meiden.
Wir bedanken uns bei Isa, Tito, Maurizio, Stefano und all den anderen, die uns diese Fahrt zu einem wirklich unvergesslichen Erlebnis werden ließen. Sissi Waldecker/Gilching